Stellungnahme der KAG Flughafen vom 01.09.2004 zur Novellierung des Fluglärmgesetzes
Pressemitteilung der KAG
<2004-09-01>

Novelle Fluglärmgesetz - Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes vor Fluglärm in der Umgebung von Flugplätzen

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

Die Kommunale Arbeitsgemeinschaft Flughafen Frankfurt am Main besteht nun seit fast 15 Jahren. Sie setzt sich mittlerweile aus 49 Städten, Gemeinden und Landkreisen zusammen – darunter die Landkreise Offenbach, Darmstadt-Dieburg, Groß-Gerau und die Städte Wiesbaden, Mainz, Offenbach und Darmstadt.

Ihre Aufgabe ist es gemeinsam berührende Angelegenheiten im Zusammenhang mit dem Flughafen Frankfurt am Main zu beraten und ein abgestimmtes Vorgehen gegenüber dem Flughafen und allen sonstigen Beteiligten sicher zu stellen.

 

Zum oben genannten Entwurf nehmen wir wie folgt Stellung:

Die KAG Flughafen begrüßt grundsätzlich die bisherigen Bemühungen zur Novellierung des derzeit noch gültigen Fluglärmgesetzes aus dem Jahr 1971.

Der vorliegende Entwurf bleibt allerdings in weiten Teilen deutlich hinter den allgemeinen Erwartungen zurück und ist insoweit nicht geeignet, die Fluglärmproblematik nachhaltig im Sinne der betroffenen Bürger in der Umgebung von Flughäfen zu lösen und Perspektiven für die Zukunft aufzuzeigen. Der Entwurf bleibt in der Rechtssystematik des geltenden Gesetzes und ist daher wiederum nur ein Entschädigungs- und Siedlungsbeschränkungsgesetz.

Möglichkeiten des aktiven Schallschutzes in jeder Form sind nicht einmal erwähnt und somit auch nicht geregelt. Insoweit wird der Inhalt des Gesetzentwurfes der vorgesehenen Bezeichnung "Gesetz zur Verbesserung des Schutzes vor Fluglärm in der Umgebung von Flugplätzen" keinesfalls gerecht.

Der Lärmschutz in der Bundesrepublik Deutschland wird überwiegend durch das Bundesimmissionsschutzgesetz geregelt. Eine Ausnahme bilden die Flugplätze. Die KAG Flughafen vertritt im Grundsatz die Auffassung, Flughäfen sollten als genehmigungsbedürftige Anlagen des Bundesimmissionsschutzgesetz behandelt werden und Luftverkehr analog zum öffentlichen Straßen – und Schienenverkehr beurteilt werden.

Dazu wäre der Ausschluss der Flughäfen aus dem Geltungsbereich des BImSchG aufzuheben. Errichtung und Betrieb von Flughäfen und Luftverkehr könnten dann nach dem seit drei Jahrzehnten bewährten Instrumentarium dieses Gesetzes ge regelt werden. So ließen sich folgende in Betracht kommende Maßnahmen in das Instrumentarium des BImSchG einordnen:

- Lärmschutz an der Quelle

- Lärmbezogene Anforderungen an Neubau und wesentliche Änderung von Flughäfen einschl. Flugroutenänderungen

- Betriebsbeschränkungen, insbesondere Nachtflugverbote
- Vorrang von aktiven Schallschutzmaßnahmen

- Übergreifende Aktionspläne im Sinne der Lärmminderungsplanung für Flughäfen

- Einführung von Grenzwerten für Fluglärm wie es sie auch für Strassen- und Schienenverkehr gibt.

Die KAG Flughafen befürwortet eine Integration der Gesetzgebung zum Fluglärmschutz in das BImSchG, um dessen ausgereifte Instrumentarien zu nutzen und insbesondere eine Gleichbehandlung aller Verkehrsträger zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang weisen wir darauf hin, dass dem Fluglärm zur Beurteilung aufgrund der erwiesenermaßen höheren Lästigkeit ein Malus zuzuweisen wäre.

Dieser grundsätzlichen Auffassung folgt der vorliegende Entwurf zur Novellierung des Fluglärmgesetzes nicht. Vielmehr soll das Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm erhalten bleiben und durch ein Artikelgesetz novelliert werden. Zu dieser Neufassung des "Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm - FlugLSG" geben wir die folgende Stellungnahme ab:

In § 1 "Zweck und Geltungsbereich" heißt es:

"Zweck dieses Gesetzes ist es, durch Festsetzung von Lärmschutzbereichen die Allgemeinheit und die Nachbarschaft vor Gefahren, erheblichen Nachteilen und erheblichen Belästigungen durch Fluglärm in der Umgebung von Flugplätzen zu schützen." In diesem Satz wird das Schutzziel genannt, "die Allgemeinheit und die Nachbarschaft vor Gefahren, erheblichen Nachteilen und erheblichen Belästigungen zu schützen."

D.h. bei der Beurteilung des Entwurfes ist zu prüfen, ob durch die vorgesehenen Maßnahmen das genannte Ziel erreicht werden kann.

Zu schützen ist einerseits "die Allgemeinheit" andererseits ganz konkret die "Nachbarschaft".

Zu schützen ist vor "Gefahren", "erheblichen Nachteilen" und "erheblichen Belästigungen" durch Fluglärm.

Der Entwurf sieht vor, dieses Ziel durch die Festsetzung von Lärmschutzbereichen zu erreichen, in denen passive Schallschutzmaßnahmen und Nutzungseinbußen von Außenwohnbereichen für bestehende Wohnungen entschädigt werden sollen, sowie Siedlungsbeschränkungen gegenüber künftiger Wohnbebauung ausgesprochen werden.

Gänzlich fehlen Betreiberpflichten, den Verkehr im Luftraum und am Boden so abzuwickeln und die notwendigen Anlagen dazu so zu errichten, dass zur Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft erstens nicht hervorgerufen werden können und zweitens Vorsorge gegen das Eintreten solcher Aus wirkungen getroffen wird, insbesondere durch die dem Stand der Technik (oder dem Stand der Wissenschaft und Technik) entsprechenden Maßnahmen.

Es fehlt hier ebenfalls eine Klarstellung, dass der von Flugplätzen ausgehende Bodenlärm nach den Vorschriften des Bundesimmissionsschutzgesetzes /TA Lärm zu beurteilen ist. Der z.B. durch Wartungsarbeiten erzeugte Bodenlärm ist mit Anlagenlärm von Gewerbe- oder Industriebetrieben wesentlich besser vergleichbar als mit Fluglärm.

Der Gesetzes-Entwurf vergibt damit die Chance, den Betreiber durch Aufnahme solcher Pflichten zum aktiven Schallschutz zu verpflichten und damit eine wichtige Möglichkeit zur Lärmminderung. Zeitgemäßer Umweltschutz hat immer zunächst der aktiven Vermeidung und Verminderung der Umwelteinwirkungen zu dienen. Erst als letzte Maßnahme kommen passive Schutzmaßnahmen in Betracht.

Dieser allgemein anerkannten Strategie wird im vorliegenden Gesetzesentwurf nicht Rechnung getragen. Es wird versäumt, den Schutz vor Fluglärm umfassend in einem modernen Gesetz zu regeln, wie es für alle anderen Verkehrsträger erfolgt ist, welches die Gesamtheit der Möglichkeiten des Lärmschutzes aufgreift und in einer gewichteten Reihenfolge zur Lösung des komplexen Lärmkonfliktes zwischen Flughäfen und Wohnbebauung nutzt.

 

Können nun die Regelungen in den Lärmschutzbereichen dem genannten Ziel des § 1 gerecht werden?

Grundsätzlich ist zunächst anzumerken, dass der angebotene Schutz sich in erster Linie auf das "Wohnen" beschränkt. Alle Personen, die gerade nicht "wohnen", sondern einkaufen, sich in Ausbildungsstätten, kulturellen oder kirchlichen Einrichtungen befinden, sich erholen oder ihrer Arbeit nachgehen, sind während dieser Tätigkeiten ungeschützt. Das Gesetz bietet nur den Menschen Schutz vor Fluglärm, die sich zu Hause bei geschlossenem Fenster aufhalten. Es bietet keinen Schutz auf dem Balkon und im Garten. Der Aufenthalt im Garten und auf dem Balkon ist jedoch auch dem Schutzbereich des Wohnens zuzuordnen. Eine Reduzierung auf Maßnahmen des passiven Schallschutzes greift deutlich zu kurz und geht von der irrigen Annahme aus, dass sich Menschen wohl fühlen, wenn sie in geschlossenen, schallisolierten Räumen von ihrer Umwelt getrennt sind.

Dennoch ist es sinnvoll und absolut notwendig, den Menschen, die von Fluglärm betroffen sind, zumindest eine Rückzugsmöglichkeit zu bieten, die es ihnen erlaubt, in den Zeiten des Wohnens Ruhe und Erholung zu finden. Der Verursacher des Lärms soll laut Gesetzesentwurf in der Schutzzone 1 ab folgenden Werten Entschädigungen für Schalschutzmaßnahmen an bestimmten Gebäuden leisten:

geplante Grenzwerte Tag (für bestehende zivile Flugplätze)

Tag - Schutzzone 1 > 65 dB(A)

Tag - Schutzzone 2 > 60 dB(A)

geplante Grenzwerte Tag (für neue oder wesentlich baulich erweiterte Flugplätze)

Tag – Schutzzone 1 > 60 dB(A)

Tag – Schutzzone 2 > 55 dB(A)

Von uns wird die Auffassung vertreten, dass

  • bei Fluglärmbelastungen mit einem Mittelungspegel von 53 dB(A) tags, berechnet als Leq(3), die Grenze zu erheblichen Belästigungen erreicht wird,
  • bei Fluglärmbelastungen von 60 dB(A) tags und 50 dB(A) nachts aus medizinischer Sicht Gesundheitsbeeinträchtigungen zu befürchten sind,
  • bei Fluglärmbelastungen oberhalb von 62 dB(A) tags Gesundheitsbeeinträchtigungen (in Form eines erhöhten Erkrankungsrisikos) hinsichtlich Asthma, Bronchitis und Hypertonie (Lares-Studie) gegeben sind,
    und
  • bei Fluglärmbelastungen oberhalb von 45 dB(A) nachts, außen erhebliche Schlafstörungen zu erwarten sind.

Daher muss unseres Erachtens ein wirksamer Schutz mit den folgenden Grenzwerten hinsichtlich des Wohnens verknüpft werden. Dabei sollen die genannten Werte aktive Schallschutzmaßnahmen auslösen. Erst bei Ausschöpfung dieser Maßnahmen sollen passive Schallschutzmaßnahmen vorgesehen werden.

geforderter Grenzwert Tag (für bestehende zivile Flugplätze)

Tag – Schutzzone : 60 dB(A)

geforderter Grenzwert Tag (für neue oder wesentlich baulich erweiterte Flugplätze)

Tag – Schutzzone: 53 dB(A)

geforderter Grenzwert Nacht (für alle Flughäfen)

Nacht – Schutzzone Leq3 : 45 dB(A)

(oder Grenzwert für 0,1–faches fluglärmbedingtes Aufwachen nach DLR-Feldstudie oder 1-faches Aufwachen nach DLR-Laborstudie)

Wenn durch aktive und passive Maßnahmen der Schutz vor dem Fluglärm nicht mehr gesichert werden kann, ist als letzte Option die Siedlungsbeschränkung zu ergreifen. Nur im Rahmen eines gestuften Konzeptes mit weit reichenden Lärmminderungspflichten für die Betreiber könnte die Einführung eines Siedlungsbeschränkungsbereiches mit der Folge der Beschneidung der kommunalen Planungshoheit überhaupt gerechtfertigt sein.

Für bestehende Flugplätze sind die Maßnahmen, die ein auf passivem Schallschutz beruhender Lärmschutz eröffnet, als Sanierung zu bezeichnen. Die Lärmsanierung soll die betroffene Bevölkerung vor Gesundheitsgefahren schützen. Diese sind bei 60 dB(A) zu befürchten. Daher sollte dieser Grenzwert gewählt werden. Bei einem Wert von 62 dB(A) für die Tag – Schutzzone sind ca. 25 % der Bevölkerung "highly annoyed", also stark lärmbelästigt. Bei starker Lärmbelästigung ergibt sich ein deutliches und signifikant erhöhtes Risiko an Asthma, Bronchitis und Hypertonie zu erkranken (Lares-Studie). Dieses Risiko würde bei einem Grenzwert von 62 dB(A) 25 % der betroffenen Bevölkerung zugemutet. Dies ist ein exorbitant hoher Wert. Nach unserer Auffassung sollte eine Gesellschaft ein so hohes Risiko nicht hinnehmen und deswegen einen Grenzwert bei 60 dB(A) wählen.

Bei neuen und wesentlich geänderten Flugplätzen besteht im Besonderen die Möglichkeit bei der Planung die Aspekte des Lärmschutzes zu berücksichtigen. Zudem ist dem Träger eines Erweiterungsvorhabens abzuverlangen, sich nicht auf den Gesundheitsschutz zu beschränken, sondern auch Vorsorge gegen mögliche negative Auswirkungen auf die Gesundheit der betroffenen Bevölkerung zu betreiben und in der Bevölkerung zu vermeiden.

Nach unserer Auffassung liegt die Grenze der erheblichen Belästigung bei 53 dB(A). Daher sollte dieser Wert als Grenzwert für die Tag – Schutzzone gewählt werden. Das Umweltbundesamt sieht 55 dB(A) als Grenze der erheblichen Belästigung an. Dies sollte die äußerste Grenze sein für einen an diesem Schutzgesichtspunkt orientierten Grenzwert. Bei 53-55 dB(A) sind immer noch ca. 10 % der Bevölkerung highly annoyed und somit einem signifikant erhöhtem Gesundheitsrisiko ausgesetzt.

Der Schutz der Nachtruhe ist nach unserer Auffassung von solcher Wichtigkeit, dass keine Differenzierung zwischen neuen und bestehenden Flugplätzen gerechtfertigt erscheint. Der Schutz muss umfassend gewährleistet werden und wirksam sein.

Neben den erinnerbaren Aufweckreaktionen sind auch Störungen zu vermeiden, die die Schlafstruktur (Schlafstadienwechsel) negativ beeinflussen.

 

Flugrouten, An- und Abflugverfahren:

Ein Kernproblem bei der Entstehung des Lärmkonfliktes zwischen Luftverkehr und Wohnbevölkerung wird nur unzureichend geregelt. Einerseits ist die Lage der Bahnen eines Flugplatzes in dem Panfeststellungsbeschluss definiert. Offen sind jedoch andererseits die An- und Abflugverfahren an einem Flugplatz. Diese werden einschließlich der Flugwege und Flughöhen vom Luftfahrtbundesamt durch Rechtsverordnung festgelegt. Eben diese Flugwege haben maßgeblichen Einfluss auf die Lärmentwicklung am Boden sowie die Lage der Lärmschutzbereiche. Nach unserer Auffassung ist dieses Thema von zentraler Bedeutung für den Lärmschutz in der Flughafenumgebung und sollte daher in die vorliegenden Novellierungsbemühungen einbezogen werden. Flugverfahren und Flugwege sind entscheidende Instrumente eines aktiven Fluglärmschutzes.

Der Entwurf sieht vor, dass künftig nach LuftVO § 27a Abs. 2 folgendes gilt: "Rechtsverordnungen nach Satz1, die von besonderer Bedeutung für den Schutz der Bevölkerung vor Fluglärm sind, werden im Benehmen mit dem Umweltbundesamt erlassen." Dies ist ein Fortschritt gegenüber dem derzeitigen Zustand. Derzeit kann das Luftfahrtbundesamt weitestgehend unkontrolliert Rechtsverordnungen zu den Flugwegen erlassen. Dieser Fortschritt ist jedoch nicht ausreichend. Nach unserer Auffassung ist es geboten, festzulegen, wann Flugrouten aus welchem Anlass mit welchem Ziel und in wessen Interesse geändert werden dürfen. Zudem sind nach unserer Auffassung die betroffenen Kommunen sowie der Flughafenbetreiber und die Luftverkehrsgesellschaften zu den vorgesehenen Festlegungen zu hören. Es sollte auch überlegt werden, ob nicht bei neuen Flugrouten oder anderen wesentlichen Änderungen, wie bei anderen Verkehrsträgern, zwingend eine Öffentlichkeitsbeteiligung erfolgen sollte.

Die derzeitige Entwurfsfassung des Gesetzes würde es sogar erlauben, dass kurz vor dem Entstehen eines Anspruches auf Lärmschutz bei einem Anwohner durch eine Änderung der Flugwege dieser Anspruch ausgehebelt würde, ein neuer Anspruchsberechtigter jedoch wiederum eine mehrjährige Frist abzuwarten hätte.

Eine Änderung der Flugrouten, die lokal zu Veränderungen um 3 dB(A) führt, ist als wesentliche Änderung des Betriebes eines Flughafens zu verstehen und sollte nach unserer Auffassung dazu führen, dass die Schutzzonen ebenfalls nach den Werten für neue oder wesentlich baulich erweiterte Flugplätze berechnet werden. Von einer wesentlichen Änderung im Betrieb eines Flughafens ist auch auszugehen, wenn die Angaben der ursprünglich der Genehmigung (und Lärmprognose) zugrunde liegenden Bedarfsprognose um mehr als 25 % überschritten werden. Auch dann sollten die Lärmschutzbereiche entsprechend denen für neue und wesentlich baulich erweiterten Flugplatz vorgenommen werden.

 

Zu § 4 (2):

Es bleibt unklar, wie die Beteiligung von Landesregierungen erfolgt, wenn der Lärmschutzbereich Ländergrenzen überschreitet. (Beispiel: Flughafen Frankfurt und angrenzend Rheinland - Pfalz). Nach unserer Auffassung ist bei Betroffenheit durch Auswirkungen eines Flugplatzes auf andere Bundesländer eine entsprechende formale Beteiligung sicherzustellen.

 

Zu § 5

Abs. 3 des § 5 bedeutet, dass nach einer Übergangsfrist von 7 Jahren nach Festsetzung eines Lärmschutzbereiches bestehende Baurechte eingeschränkt werden. Diese Regelung sollte nach unserer Auffassung dringend überdacht werden. Zunächst ist zu sagen, dass es sich in den in § 5 Abs. 2 und Abs. 3 behandelten Fällen nicht um eine heranrückende Wohnbebauung handelt. Daher ist nicht von einer Konfliktverschärfung durch die Ausnutzung bestehender Baurechte auszugehen.

Zudem ist insbesondere in § 34er-Gebieten die Fortführung gewachsener Wohnstrukturen zu bedenken. Bauverbote in diesen Gebieten können sich stark negativ auf die soziale und städtebauliche Struktur auswirken. Der Verlust von gültigen Baurechten ist eine sehr weitgehende Rechtswirkung. Diese ist nach hiesiger Auffassung nur gerechtfertigt, wenn vorher von den Betreibern der Luftfahrzeuge sowie vom Betreiber des Flughafens und den für die Flugführung zuständigen Stellen alle möglichen Maßnahmen zu Lärmminderung ausgeschöpft wurden. Dies wird im Gesetzentwurf jedoch nicht verlangt. Daher ist der Gesetzentwurf in diesem Punkt unausgewogen. Eine Beschränkung bestehender Baurechte ist seitens der Kommunen nicht zu akzeptieren.

 

Zur Ermittlung der Lärmbelastung:

Der vorgelegte Entwurf zur Novellierung des Fluglärmschutzgesetzes sieht vor, die Lärmbelastung in der Umgebung von Flughäfen getrennt nach der Betriebsrichtung zu ermitteln. Maßgeblich für die Beurteilung ist der höhere Wert (100/100-Regelung). Dies wird ausdrücklich unterstützt. Die Behauptung der Luftverkehrsbranche, "die sogenannte 100/100-Regelung berechnet zwei Flugbewegungen, wo nur eine stattfindet", verkennt die reale Belastungssituation in Gebieten, die regelmäßig, wenn auch nicht fortwährend, überflogen werden. Nach unserer Auffassung soll der Lärm zu den Zeiten beurteilt werden, zu denen er auftritt. Dies führt zu dem Begriff der Beurteilungszeit. Es ist absolut gerechtfertigt, als Beurteilungszeit für den Fluglärm die Zeit zu wählen, in der ein relevanter Flugbetrieb zu verzeichnen ist. Das dabei Betriebssituationen unbeachtet bleiben sollen, die in weniger als 5 % der Gesamtzeit auftreten, ist vertretbar.

 

Diese Regelung entspricht den Regelungsinhalten auch anderer Lärmschutzvorschriften:

Beispiele sind die Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV) für den Bereich des Verkehrslärms, die TA-Lärm für den Bereich des Gewerbelärms, die Sportanlagenlärmschutzverordnung für den Sportanlagenlärm.

Gemäß Verkehrslärmschutzverordnung ist der Immissionspegel beim Straßenverkehr entsprechend der RLS 90 unter Mitwindbedingungen zu ermitteln. Maßgeblich ist also am Immissionsort der Pegel, der auftritt, wenn er im Mitwind liegt, also der lautere Pegel ist bestimmend bei der Frage, ob ein Schutzanspruch besteht und wie die Lärmschutzeinrichtung dimensioniert werden soll. Die Regelungen zur Berechnung von Straßenverkehrslärm und Schienenverkehrslärm schützen gegen Überschreitungen der Grenzwerte bei Mitwind-Wetterlagen auch wenn ein Immissionsort auf der Straßenseite liegt, die seltener im Mitwind liegt. Den Schutz löst somit eine Belastungssituation aus, die nicht im Mittel aller Tage vorliegt, sondern zu einer gewissen %-Zahl der Tage eines Jahres.
Die TA-Lärm schützt ebenfalls nicht vor dem ganzjährigen Mittelwert des einwirkenden Lärm, sondern vor Situationen, die häufiger als selten vorkommen, wobei selten 10 Ereignisse im Jahr sind. Als Beispiel sei eine saisonale Lärmquelle genannt, etwa eine Außenbewirtschaftung einer Gaststätte. Auch hier wird der Lärm in der Zeit beurteilt, zu der er auftritt und nicht mit anderen Tagen verrechnet, an denen die Außenbewirtschaftung nicht geöffnet hat oder wegen schlechten Wetters niemand dort sitzt.

Die Sportanlagenlärmschutzverordnung entspricht in etwa der TA-Lärm bei dieser Frage. Dabei sind 18 Ereignisse als selten aufzufassen. Dies entspricht 5 % der Tage eines Jahres.

Dem Artikelgesetz ist nicht zu entnehmen, dass im Änderungsverfahren des Gesetzes die bekannten Mängel der "Anleitung zur Berechnung von Lärmschutzbereichen an zivilen und militärischen Flugplätzen nach dem Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm (AzB)" beseitigt werden sollen. Dies sind insbesondere Mängel bei der Beurteilung des Landeverkehrs, wie die Nichtberücksichtigung von Gegenanflügen, Eindrehvorgängen mit entsprechenden aerodynamischen Geräuschen und Ungenauigkeiten mit zunehmender Entfernung vom Flughafen sowie Modellmängel bei Kurvenflügen. Eine Überarbeitung des Rechenmodells wird von uns jedoch als notwendig angesehen, zumal Änderungen der AzB möglich sind und auch andere geeignete Berechnungsmodelle z.B. in der Schweiz existieren. Ebenso ist es notwendig, Regeln für die Erstellung des Datenerfassungssystems (DES) aufzustellen, insbesondere was die Genauigkeit der Angaben zum Verlauf und zur Gestaltung der An- und Abflugrouten und deren Belegung anbelangt. Realitätsnahe Berechnungen sind nur möglich, wenn das DES überprüfbare Qualitätsstandards erfüllt. Aus unserer Sicht ist insbesondere die Aufnahme der Gegenanfluglinie und der Bereiche, die zum Eindrehen der Flugzeuge auf die Endanfluglinie genutzt werden in das DES von Bedeutung, da Gegenanflüge und Eindrehbereiche die Lärmkonturen am Boden deutlich mitprägen.

Dem Gesetz fehlt nach unserer Auffassung eine klare Regelung, dass der vom Rollen der Luftfahrzeuge auf dem Flugplatzgelände und dem Betrieb von Anlagen für Triebwerkprobeläufe herrührende Lärm nach der TA- Lärm zu beurteilen ist und nicht dem Fluglärmgesetz unterliegt.

 

Kosten zur Finanzierung von Lärmschutzmaßnahmen:

Die Kostenschätzungen gehen je nach Ansatz dahin, dass sich je Flugticket eine durchschnittliche Kostenbelastung durch Lärmschutzmaßnahmen von 0,35 bis 1,40 € ergibt. Diesen Rahmen halten wir in jeder Hinsicht für vertretbar.

 

Abschließende Beurteilung:

Der vorgelegte Entwurf sieht Verbesserungen des Fluglärmschutzes vor. Diese Verbesserungen beruhen im Wesentlichen auf den abgesenkten Grenzwerten für neue und wesentlich baulich veränderte Flugplätze sowie die Anwendung der betriebsrichtungsabhängigen Berechnung der Lärmbelastungen. Die Grenzwerte berücksichtigen aber leider nicht in hinreichendem Maße die erheblich belästigende Wirkung des Fluglärms, obwohl der Schutz vor erheblichen Belästigungen im § 1 ausdrücklich als Ziel genannt wird.

Der Gesetzesentwurf regelt leider lediglich Entschädigungsfragen und die Beschränkung der Siedlungsentwicklung. Zeitgemäßer Lärmschutz in Form von aktivem Lärmschutz und in Form der Begrenzung einwirkenden Lärms durch tatsächliche Grenzwerte wird hierdurch nicht normiert. Organisatorische Maßnahmen zur Beschränkung des Fluglärms werden nicht geregelt. Weitergehend müsste das Gesetz Regelungen enthalten zu: aktivem Schallschutz, Kontingenten tags und nachts, Nachtflugverboten, der Erhebung einer Fluglärmabgabe zur verursachergemäßen Finanzierung der Lärmschutzmaßnahmen. Neben diesen grundsätzlich zu bemängelnden Eigenschaften des Entwurfes offenbart der Entwurf viele Zugeständnisse gegenüber der Luftverkehrswirtschaft, z. B. durch

  1. gegenüber allen anderen Verkehrsträgern zu hohe Grenzwerte
  2. zeitliche Streckung der Ansprüche auf 11 Jahre
  3. Bestimmung der Tagschutzzone anhand des Leqtag anstelle des Lden.

 

Aufgrund der unzureichenden Regelungsinhalte (z. B. Fehlen aktiven Schallschutzes und von Vorsorgemaßnahmen) und der massiven Eingriffe in die kommunale Planungshoheit ist das Gesetz aus kommunaler Sicht in wesentlichen Teilen als unzureichend zu bezeichnen.

Dennoch bietet der Entwurf in seiner jetzigen Form Verbesserungen des Fluglärmschutzes und kann daher in diesen Teilen von unserer Seite unterstützt werden. Wird jedoch nur eine wesentliche Position des Entwurfes aufgegeben, so ist das Gesetz als weitgehend wirkungslos zurückzuweisen. Insbesondere wäre das Gesetz für uns unakzeptabel, wenn die 100/100 Regel entfallen würde oder die genannten Grenzwerte weiter heraufgesetzt würden.

 

Für Rückfragen stehen wir jederzeit gerne zur Verfügung.

 

 

Mit freundlichen Grüßen

(Will)

KAG Vorsitzender

1. Kreisbeigeordneter des Kreis Groß-Gerau

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